Oribi Nature Reserve Mthatha

Auf unserem Rückweg nach Kapstadt kaufen wir in der Southcoast Mall bei Shelly Beach die längst fälligen neuen Koffer. In diesem Einkaufszentrum kauft die nichtweisse Mittelschicht ihre Güter ein. Es tut uns gut, diese glücklichen Familien zu beobachten. Die Kinder werden zuckersüss angezogen, jedes Einzelne gäbe ein tolles Fotosujet. Zudem gibt es in dieser riesigen Mall auch ein entsprechend grosses Postoffice Wir sind gewillt, endlich unsere Buse zu bezahlen.

Das Postoffice finden wir auf Anhieb, schmunzeln über die Verbotstafeln neben des Einganges, welche ausdrücklich das Mitbringen von Handys und Pistolen verbieten. Einheimische Frauen könnten das Handy ja nur etwas weiter nach unten schieben… Toni sieht nämlich immer wieder grossbusige Einheimische, welche das Handy zwischen den Brüsten herumtragen

Interessant ist, dass hier wie bei den Banken in der Mall auch das Postoffice einen „Schleuseneingang“ hat. Man öffnet die Türe und findet sich in einem kleinen gläsernen Raum wieder, der höchstens für zwei Menschen Raum bietet. Die Security kann nun entscheiden, ob die nächste Türe geöffnet werden kann oder nicht. Falls ja, leuchtet grünes Licht auf. Das Signal, dass die zweite Türe geöffnet werden kann. Die weisse Schalterangestellte hat noch nie etwas von einem Dienstleistungsbetrieb gehört, nervt sich etwas, dass ich meine Buse auf einem so „komischen“ Papier habe. Sagt, dass sie nicht glaube, dass ihr System dies annehmen werde. Dazu müsste ich erst bei ihr einen „account“ öffnen, damit ich in ihr System passe. Für diesen Account müsste ich nun meine südafrikanische ID Nummer haben und ein Formular ausfüllen, das danach genehmigt werden müsste…..

Ich kann mir bildlich vorstellen, wie es ist, wenn die nichtweisse Unterschicht irgendeinen bürokratischen Akt vollziehen muss. Da wird es mehr als einmal unüberwindbare Hürden geben. Tatsächlich sehen wir später im TV eine Reklame für eine Firma, die hilft, ein neues Bankkonto zu eröffnen. Die Reklame geht so: Verschiedene Menschen werden gefragt, ob sie mit ihrer Bank und den Bankspesen zufrieden seien. Alle sagen: „Nein, die Spesen sind zu hoch, etc.“. Danach werden sie gefragt, weshalb sie denn nicht die Bank wechseln und anderswo ein Konto eröffnen würden. Die folgenden Gesichtsausdrücke mit gleichzeitigem Abwinken kann nur verstehen, wer eben weiss, wie kompliziert es hier ist, ein Bankkonto zu eröffnen. Nun erscheint der Name der Firma, die dabei hilft, diese administrative Hürde zu bewältigen.

Später halten wir nochmals beim Oribi Nature Reserve an, wo wir im „The Gorge View“ übernachten, um am Morgen relativ früh die lange Strecke bis Gonubie antreten zu können. Nochmals hören wir diesem prall gefüllten Wald zu, besuchen auch das Leopard Outlook Café, das nur so heisst, weil im Restaurant ein Leopard Bild hängt. Leoparden gibt es hier keine, dafür sündhaft gute, selbstgebackene Torten sowie eine tolle Aussicht.

Auch lädt eine überhängende Felsplatte zu einem weiteren Nervenkitzel ein Die „Einten“ können darauf stehen

Wir halten uns jetzt in einem Gebiet auf, von dem man uns gesagt hat, dass man hier nicht übernachten soll, sondern einfach durchfahren. Tatsächlich sind wir zum Abendessen die einzigen Weissen und werden – wenn auch sehr freundlich – angeschaut.

Auch finde ich nun traditionelle südafrikanische Gerichte auf der Karte, die dann jedoch „sorry, out of stock“ sind. So nehme ich einen Salatteller (es gibt keine Probleme, alles ist hygienisch) und einen Pot Tee, Toni ein Glas Wein und eine nicht zu bewältigende Portion PouletChampignonsKäseSpagetti. Kostenpunkt, alles zusammen Fr. 9.10

Am Samstagabend mögen die Einheimischen Lifemusik, zu der sie ausgiebig tanzen. Eigentlich, so sagt man uns, hätte um 5 Uhr die Musik beginnen sollen, aber das sind Zeitvorschläge. Es wird gegen 8 Uhr, bis die Musik spielt. (Je mehr wir in das „nichtweisse Gebiet“ eindringen, desto weniger spielt Zeit eine Rolle.) Danach wird ausgiebig getanzt, gescherzt, gelacht, gejohlt. Es herrscht bis nach Mitternacht eine äusserst ausgelassene, lautstarke Fröhlichkeit, die um 5 Uhr morgens bereits wieder beginnt.

Morgens um 5 Uhr wird es hell, die Frösche beginnen zu quaken und die verschiedenartigsten Vögel beginnen in den wundersamen Bäumen mit ihrem Morgenlied

Die Menschen sind wach, plaudern, lachen, diskutieren – ein neuer fröhlicher Tag beginnt. Als extrem fröhlich und hilfsbereit würde ich die Einheimischen bezeichnen, auch als sehr willig. Einfach – um Gottes Willen – extrem ineffizient. Ich weiss nicht, an was dies liegt. Verstehe oft nicht, wo das Problem liegen könnte und weshalb eine wirklich einfache Tätigkeit soooo unendlich laaaaaang dauern kann. Man muss schon 4 bis 5 Gänge hinunterschalten, wenn man nicht verzweifeln will.

Morgens um 20 nach 7 möchten wir frühstücken um gegen 8 Uhr losfahren zu können. Wir sind bereits die letzten Gäste, die drei Gruppen Nichtweisse essen längst Rührei und viele Würstchen. Auch sind wir sehr überrascht, dass der Parkplatz trotz dieser Ausgelassenheit vom Abend absolut sauber ist. Eine einzige Flasche scheint zerbrochen zu sein, ansonsten gibt es keinen Abfall, der herumliegt. Man hat nichts liegen lassen oder auf den Boden geworfen. Alles ist sehr sauber!

Die Serviererin trägt wie alle hier eine kunstvoll gedrehte Haartracht, stellt sich freundlich vor, lächelt und fragt nach den Wünschen. Obwohl sie keinen Druck hat, dauert es sage und schreibe eine halbe Stunde, bis sie den Tee und den Kaffee lächelnd bringt. Vielleicht liegt es an der Küche, wo stark hantiert wird, obwohl es keine weiteren Bestellungen mehr geben kann, dass nach weiteren 20 Minuten immer noch kein Toast kommt, schon gar nicht die zwei Spiegeleier. Weil wir eine lange Fahrt vor uns haben, vergeht mir der Appetit nach weiteren langen Minuten. Ich laufe zur Rezeption, wo ich unsere Serviererin fröhlich schäkernd vorfinde und sage, dass ich auf mein Frühstück verzichten würde, weil ich nun keine Zeit mehr hätte, weiter zu warten. Man entschuldigt sich in alle Form, fröhlich lächelnd. Hat jedoch nicht das Gefühl, dass dies nun lange gedauert hätte….

In Mthatha, wo im Moment ebenfalls ein Nelson Mandela Museum renoviert/eingerichtet wird, wurde uns bewusst, weshalb man in Restaurants unbedingt sofort das Getränk bestellt: Es kann so lange dauern, bis man irgendetwas erhält, dass es gut ist, schon mal trinken zu können. Die zweite Bestellung des Getränkes erfolgt in der Regel mit dem Erhalt des Essens. In Mthatha gibt es auf der Speisekarte ein traditionelles Gericht mit dem Hinweis, dass dafür ca. 1,5 Stunden gewartet werden muss. Nach unseren Erfahrungen sind dies glatte zwei Stunden.

Das Tüpfelchen auf dem i erlebe ich in Mount Frere, wo wir an eine Tankstelle fahren, ich wegen einer Toilette schnell das danebenliegende KFC aufsuche. Das Gebäude ist neu, sehr schön eingerichtet. Die Toiletten grosszügig, absolut sauber und hygienisch, ohne irgendwelchen Code oder irgendwelche Bezahlung erreichbar. Da in der offenen Küche nichts ausser fröhlichem Geschäker läuft, am Bestelltresen keine Kunden sind, jedoch drei Verkäuferinnen warten, entscheide ich spontan, uns ein Eis mitzunehmen. Bestelle, bezahle, bin überrascht, dass nun „meine“ Verkäuferin davonläuft, nicht wiederkommt. Frage nach „gefühlten“ 10 Minuten, wie lange es denn dauern könne, bis das Eis komme und erhalte lächelnd die Antwort: „About 5 minutes“ Um Toni – im Auto wartend – nicht zu beunruhigen, kann ich gar nicht mehr so lange warten – effektiv hatte ich gedacht, das Herausgeben eines Eises würde höchstens 1 Minute dauern.

Mehr als einmal stand ich während unserer Reise wegen dieser unbegreiflichen Ineffizienz einfach fassungslos da und verzichtete auf eine bereits bezahlte Dienstleistung, nur um der nicht enden wollenden Warterei entkommen zu können. Käme ein Einheimischer nach Europa, um Arbeit zu finden, müsste ihm ob unserem Tempo ganz schwindlig werden. Wir wiederum würden ihn wohl für faul halten und ihm damit unrecht tun. Ich erlebe die Einheimischen absolut nicht als faul. Sie sind sehr willig, wollen helfen, scheitern in unseren Augen jedoch an ihrer Ineffizienz. Prinzipiell ist es jedoch einfach das ganze andere Tempo, das sie gewohnt sind. Sie kennen keine Zeit und halten sich natürlich auch nicht für ineffizient, sondern uns für gestresst. Die Wahrheit mag in der Mitte liegen

Wir reisen in diesem wunderschönen Land umher und müssen uns natürlich anpassen. So schonen wir unsere Nerven, indem wir im Restaurant vor dem Essen ein Patience spielen, whatsappen, die Reisepläne besprechen, verschiedene Prospekte zu den nächsten Stationen lesen um dann noch kurz zu warten, bis die stets sehr fröhliche, lächelnde Serviererin das Essen bringt.

Manchmal nehme ich auch meinen Fotoapparat, laufe in den Garten und knipse wunderschöne Blüten, wie der gefüllte Hibiskus in allen Farben:

Blandine, Februar 2014

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