Warschau’s Geschichte von 1918 bis 1989

Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde bei den Versailles-Verträgen entschieden, dass es gut ist, vor Russland eine Pufferzone zu haben. Deshalb sollte es dort sowohl Polen als auch die Ukraine geben. So konnte Polen 1918 auferstehen. Als am 11. November 1918 Marschal Pilsudski in Warschau eintraf und die deutsch-österreichischen Truppen in Warschau entwaffnet wurden, begann in Warschau die Zeit der Zweiten Polnischen Republik. Bereits 1920 drohte die Rote Armee, Warschau im polnisch-sowjetischen Krieg einzunehmen. Marschall Pilsudski konnte jedoch die Rote Armee beim „Wunder an der Weichsel“ vom 13. – 16. August 1920 zurückdrängen.

Als Hauptstadt des erneut unabhängigen Polen erblühte Warschau wieder. In den 1920 Jahren wurden verschiedene Ministerien Paläste und Botschaften errichtet und auch der erste polnische Flughafen eingeweiht, der in den 1930er Jahren nationale und internationale dauerhafte Flugverbindungen erhielt. Die Häuser waren prunkvoll dekoriert, die Reichen trafen sich in den bereits etablierten Luxushotels.

Die Damen und Herren flanierten in den Parks. Stärker als in Wien noch herrschte die Aristokratie mit ihrer feinen Etikette.

Am 28. September 1939 marschierten deutsche Truppen in Warschau ein, eine über fünfjährige verheerende Besatzungszeit brach an. Der Terror der Besatzer traf von Anfang an auf einen entschiedenen Widerstand weiter Teile der Bevölkerung. Der organisierte Widerstand war besonders in Warschau stark, wo am 31. Juli 1944 die Rote Armee Praga erreichte, die Weichsel die Frontlinie bildete und Warschau von zwei Besatzern beschossen wurde.

Bereits am 2. Oktober 1940 mussten alle jüdischen Einwohner der Stadt innerhalb von sechs Wochen den Umzug ins gegründete Judenviertel vollzogen haben. Dort musste die nichtjüdische Bevölkerung ihre Wohnungen umgehend verlassen. In der Nacht vom 15. auf den 16. November 1940 wurde mit einer 18 km langen und 3 m hohen Mauer begonnen. Das Ghetto konnte später nur noch durch ein bewachtes Tor verlassen werden. Die Juden im Warschauer Ghetto litten nicht nur unter der Angst vor der ungewissen Zukunft. Wegen der strikten Nahrungsrationierung auch unter Hunger. Zudem war das Ghetto mit einer Bevölkerung von 350’000 überfüllt, wegen des Hungers und der Überfüllung breiteten sich auch Seuchen aus. Das Warschauer Ghetto ist ein sehr trauriges Kapitel.

Die Kirche auf dem unteren Bild lag bei Kriegsbeginn am Tor des Judenghettos. Der Vorsteher war bis zum Krieg antisemitisch eingestellt, vermied jeglichen Kontakt zu den Juden. Erst als die Juden Stück für Stück deportiert wurden, rettete er Hunderte vor dem sicheren Tod, indem er ihnen mit der Kirche das Tor zur Freiheit bot.

Dass es heute mitten in der Stadt Warschau, nahe beim Kulturpalast, so viel Platz für einen Park als auch für moderne Hochhäuser gibt, hat mit dem Judenaufstand von 1943 zu tun.

Die Jüdische Kampforganisation hatte sich als Reaktion auf die Massendeportationen aus Warschau im Herbst 1942 gebildet. Die Mitglieder – Zionisten, Kommunisten und Vertreter des Allgemeinen jüdischen Arbeiterbundes – waren vereint im Ziel: „Wir wollen nicht Leben retten, wir wollen unsere Würde retten“. Sie knüpften Kontakte zum polnischen Untergrund, baten um Waffen und logistische Unterstützung. Im Ghetto agitierten die jungen Männer und Frauen gegen jede Form der Zusammenarbeit mit den Deutschen. Niemand sollte mehr dem Versprechen glauben, die Arbeit für die deutschen Betriebe biete Schutz vor der Vergasung.

Als am 18. Januar 1943 die Deportationen wieder einsetzten, leisteten die Juden erstmals Widerstand. Nach vier Tagen stellten die SS-Kommandos die Deportationen ein. Bis dahin hatten sie bereits wieder fast 7.000 Menschen nach Treblinka verschleppt. Die jüdischen Kämpfer werteten ihren Aufstand als Erfolg, obwohl viele ihrer Mitglieder ermordet wurden. Nach dem Rückzug in den Morgenstunden des 19. April änderten die Angreifer ihre Taktik. Der SS- und Polizeiführer Jürgen Stroop, der das Kommando über die Verbände übernahm, liess systematisch ganze Häuserzeilen in Brand setzen und sprengen. Keller und Kanäle, die als Verstecke und Fluchtwege dienten, wurden mit Wasser oder Gas geflutet. Wer sich stellte, wurde zum „Umschlagplatz“ getrieben und von dort aus in Arbeits- und Vernichtungslager deportiert. Wer Widerstand leistete, wurde sofort erschossen.

Einzelne Gruppen des polnischen Untergrunds unterstützten die Aufständischen, indem sie ihnen Waffen lieferten oder bei der Flucht aus dem Ghetto halfen.

Einzig dieses Judenhaus überlebte die geplant durchgeführte Zerstörung und steht heute als Mahnmal an prominenter Stelle in Warschau.

Am 1. August 1944 erhob sich auch die Polnische Heimarmee gegen die Besetzer. Fast die gesamte verbliebene Stadtbevölkerung beteiligte sich an den Kriegshandlungen, deren Ziel ein von Nazideutschland und der Sowjetunion unabhängiges Polen sein sollte. Aufgrund mangelnden Nachschubs jedweder Form kam der Aufstand jedoch schnell in eine kritische Situation. Die der Wehrmacht zu diesem Zeitpunkt weit überlegene Rote Armee war am rechten Weichselufer stehen geblieben und leistete dem Widerstand keine Unterstützung. Außerdem verweigerten die Sowjets den Westalliierten Flugplätze, von denen aus sie mehr Hilfsgüter und Waffen hätten einfliegen können. Die Heimatarmee musste am 2. Oktober 1944 kapitulieren. Im Warschauer Aufstand, der überwiegend durch Einheiten der Waffen-SS niedergeschlagen wurde, kamen fast 200’000 polnische Soldaten und Zivilisten ums Leben. Als Repressalie wurde die Mehrzahl der noch vorhandenen Gebäude auf dem linken Weichselufer von den deutschen Truppen planmäßig gesprengt, Warschau weitgehend zerstört. Die überlebende Bevölkerung wurde in Konzentrationslager oder zur Zwangsarbeit deportiert.

Am 17. Januar 1945 marschierte die Rote Armee in eine Ruinenstadt ohne Bewohner ein. Bald wurde jedoch die Altstadt, welche heute als Weltkulturerbe der UNESCO gilt, originalgetreu aufgebaut. 90 % der Gebäude westlich der Weichsel waren vernichtet. Aufgrund der gewaltigen Zerstörungen, der immensen Kosten und der bitteren Wohnungsnot, konnten viele Gebäude nicht wieder rekonstruiert werden, ganze Strassenzüge wurden neu geplant. Besonders die Jugendstilvillen und bürgerlichen Häuser der Zwischenkriegszeit mussten dem Architektur-Dogma des „Sozialistischen Realismus“ weichen.

Die Sowjetunion setzte alles daran, in Polen präsent zu sein. So wurde der Polnischen Regierung angeboten, entweder eine Metro für das Volk zu bauen oder ein Baudenkmal, das die Grösse und Stärke der kommunistischen Partei symbolisiert. Die polnische Regierung hat das Baudenkmal „gewählt“. So wurden 3000 Russen – junge Männer aus dem Krieg, die beschäftigt werden mussten – nach Warschau geschickt um innert nur drei Jahren den gewaltigen Kulturpalast zu bauen, der einerseits lange von den Warschauern verhasst war, andererseits auch zum Wahrzeichen Warschaus avancierte.

Der Kulturpalast gilt als Beispiel der damaligen Architektur des „Sozialistischen Realismus“. Diese Architekturepoche gilt nur bis zu Stalins Tod 1955.

In diesem monströsen Gebäude wurde vor allem die kommunistische Verwaltung des Landes einquartiert. Heute noch dient es als Regierungsgebäude. Obwohl Stalin nach dem Krieg den Ton angab, dominierte im ersten Nachkriegsjahrzehnt eine Aufbruchsstimmung. Der sowjetische Diktator Stalin zweifelte an der Bereitschaft des jungen Polen, sich auf den Sozialismus einzulassen. Deshalb wurde anfangs besonders viel in Warschau investiert. 1955 wurde der „Warschauer Pakt“ in der inzwischen zur Vorzeigestadt avancierten Hauptstadt Polens unterschrieben.

„Männer, die arbeiten und zupacken werden geehrt“, „das Volk hat das Sagen“, „die kommunistische Partei ist mächtig“ und weitere Propaganda wurde in Stein eingemeisselt.

Dazu gab es unendlich viele Wohnungen für das Volk, die alle winzig und ohne Komfort waren. Aber es wurde in diesem Sinne für alle Bürger gesorgt. Alle hatten ein Dach über dem Kopf, zu Essen sowie Arbeit im damaligen Polen des Sozialismus. (Polen verstand sich zu dieser Zeit nicht als kommunistisch, obwohl wir im Westen das Land als kommunistisch ansahen)

Das Mercure Hotel war nicht wirklich für normale Bürger oder Touristen gedacht, eher für Parteifunktionäre aus der Sowjetunion. Wie auch in sozialistischen Heimatland, war auch in Polen die Devise: „Alle sind gleich, Einige gleicher“. Besonders Intellektuelle und Künstler erkämpften sich nach diversen Aufständen mehr Freiheiten.

Nach Stalins Tod entstand in Warschau so etwas wie eine sozialistische Moderne. 1972 -1974 wurde das Novotel gebaut, das für einige Jahre als das Modernste aller Gebäude und Hotels in Warschau galt, weil es nach westlichem Standard gebaut wurde. Auch waren im Novotel Speisen, Getränke, Dienstleistungen sowie Unterhaltung erhältlich, von denen die sowjetische Propaganda bislang verschwiegen hatte, dass es sie überhaupt irgendwo auf der Welt gibt.

Unser privater Führer, der uns durch das Warschau des Sozialismus führt, weiss zu berichten, dass sich die Baubewilligung für das Novotel hingezogen hatte. Tatsächlich empfindet er das Novotel als ein damaliges Tor zu den Möglichkeiten des Westens. Bisher hatte die Propaganda behauptet, den Brüdern der Sowjetunion gehe es verglichen mit dem Westen viel besser, nun munkelte selbst das einfache Volk, welches niemals genügend Geld für einen Besuch im Novotel gehabt hätte, von bisher verschwiegenen Herrlichkeiten, die im westlich geprägten Novotel erhältlich waren.

Auch der Kniefall von Willi Brandt im Jahre 1970 half, den Westen in einem anderen Licht zu sehen. Schon in den späten, von Massendemonstrationen und Widerstand geprägten sechziger Jahren war es zudem der Römisch Katholischen Kirche gelungen, zur bedeutenden Gegenmacht im Staat zu werden. Der Verlust an Ansehen und Einfluss der sozialistisch-atheistischen Machthaber verstärkte sich im Jahre 1978 mit der Wahl von Papst Johannes Paul II., der bereits kurz nach seiner Wahl sein Heimatland als „polnischer Papst“ besuchte.

Laut unserem Führer hat sich 1975 prinzipiell das Blatt gewendet, weil die Russen in einen Weltraumkrieg mit den USA verwickelt waren. Das Ansehen der USA wegen der Mondlandung konnte die Sowjetunion nicht auf sich ruhen lassen, pumpte ihrerseits Abermillionen in ihr Weltraumprojekt. Dieses Geld fehlte in den frühen 1970er Jahren für die Bruderländer. Die Sowjetunion investierte nicht mehr in Polen / Warschau, sondern blutete das Land aus, weil Geld für das Weltraumprojekt benötigt wurde. Ab 1975 war Warschau eine dunkle Stadt, weil kein Geld für Beleuchtung vorhanden, weil die Installation defekt war, weil die Planwirtschaft nur noch Mangel erzeugte. Für unseren Führer ist der Erfolg des amerikanischen Mondprogramms der Anfang vom Untergang der Sowjetunion.

Dies galt vor der Wende als das modernste Kaufhaus. Wie in den meisten Läden blieben jedoch auch hier die Regale leer, es gab keine Ware. Dafür hohe Arbeitslosigkeit, viel Hunger, viel Mangel. Es gab zu wenige Devisen im Land.

Ab 1978 kämpfte die Opposition immer offener und selbstbewusster gegen das System. Als 1984 ein der Gewerkschaft Solidarnosc nahestehender Priester vom polnischen Staatssicherheitsdienst entführt und ermordet wurde, verstärkte dies den Widerstand. Die von Mangelwirtschaft und Armut geprägten achtziger Jahre konnte die Staatsspitze nur durch die Verhängung des Kriegszustandes unter Kontrolle bekommen.

Dass die Sowjetunion 1980 den Bau des westlichen Hotels Marriot erlaubte, hatte mit dem Devisenmangel zu tun. Sie erhoffte sich mit einem rein westlichen Hotel Touristen aus dem Westen, die Devisen ins Land bringen sollten. In Wirklichkeit war jedoch bereits der Bau des Marriot in Warschau schon ein Anzeigen von Schwäche der Sowjetunion. Bei der Eröffnung im Jahre 1989 wurde das Marriot der Inbegriff eines westlichen Paradieses mit allem erdenklichen Überfluss, der im sozialistischen System fehlte.

Das erste moderne Gebäude von Warschau

Hoffnung auf einen erneuten Anschluss an den freien Westen gab vor allem die Römisch Katholische Kirche. Oft genug hatte in der Vergangenheit die Römisch Katholische Kirche schon die Rolle des Staates übernehmen müssen. Die Römisch Katholische Kirche hatte in dieser Zeit in Polen eine ganz andere Bedeutung, als wir uns dies hier im Westen vorstellen können. Es war die Kirche, welche Hoffnung auf Befreiung versprach, es war schlussendlich auch die Römisch Katholische Kirche, die mit dem System der atheistisch-sozialistischen Staatsführung kollidierte und dieses System zu Fall brachte. Es war Papst Johannes Paul II., der Solidarnos Unterstützung gab, er war zu dieser Zeit der Hoffnungsträger für eine Befreiung und für eine Polnische Nation. Auch in diesem Sinne ist seine enorme Verehrung in Polen zu verstehen. Die Geschichte nach 1970 ist fest mit dem Leben und Wirken von Papst Johanes Paul II. verbunden. Mit Respekt würdigen wir diesen Umstand, wenn wir auf unseren Rundreisen bei Sehenswürdigkeiten sein Denkmal sehen und die Worte: „ER war hier!“ In Warschau gibt es eigens eine Stadtführung, die Papst Johannes Paul II. gewidmet ist.

Der europäische Sozialismus endete 1989 in Polen, das mit Tadeusz Mazowiecki den ersten nichtkommunistischen Ministerpräsidenten im damals noch existierenden Ostblock wählte. 1000 % Inflation und 40 Mrd. Dollar Auslandschulden waren die 1989 gezogene Bilanz von 40 Jahren kommunistischer Wirtschaft. Auch andere Grundübel der sozialistischen Planwirtschaft fehlten nicht: Devisen- und Warenknappheit, ewiges Schlangenstehen vor leeren Geschäften und die Rationierung von Lebensmitteln.

Blandine, im Winter 2013

Quellen:
Persönlicher Führer durch das sozialistische Warschau
Polen, Nelles Verlag
Warschau, Michael Müller Verlag
Polyglott on tour / Polen
Eigenes Erleben und eigene Beobachtungen während einiger Aufenthalte in Warschau

© 2016
Fragen – Schreiben – Verlegen
Blandine-Josephine Raemy-Zbinden
Feldpark 9
CH-6300 Zug