Interview FonTimes Zug

Frau Raemy, bitte erzählen Sie uns, wer Sie sind und was Sie in Ihrem Beruf genau machen?

Ich bin eine 66jährige Frau, die gerne schreibt und Menschen hilft, freundlich auf ihr Leben und ihre Geschichte zurück zu blicken.Begonnen hat alles mit meiner kranken Mutter. Als wir wussten, dass sie bald sterben würde, bat ich sie, mir aus ihrem Leben zu berichten. Dabei realisierte ich, wie gut es ihr tat, jemandem erzählen zu können, was ihr persönlich wichtig war.

Jahre später las ich im Buch von Prof. Dr. Andreas Maercker (Universität Zürich), dass die Biografie-Arbeit eine bislang unbekannte, aber sehr erfolgreiche Therapieform ist. Ich begann, mich zu informieren und lernte Prof. Dr. Verena Kast kennen. Sie weist darauf hin, dass Menschen, die sich mit ihren autobiografischen Erinnerungen beschäftigen, weniger depressiv und geistig beweglicher sind.

Die Ausführungen von Prof. Dr. Verena Kast faszinierten mich so sehr, dass ich seither mit verschiedenen Menschen aus der ganzen Schweiz respektvoll und freundlich auf ihr Leben zurück blicke.

Sie führen ein Unternehmen unter dem Titel Lebensrückblick Biografie. Was kann man sich darunter vorstellen? Lassen Sie Leute, Zuger Einwohner, über ihr Leben erzählen und schreiben Sie daraus vorwiegend eine positive biografische Geschichte?

Laut Fachkreisen erinnern wir uns nicht objektiv und unsere Erinnerungen sind nicht in Stein gemeisselt, können sich verändern. Es kommt darauf an, wie gut es uns in der Gegenwart geht und welche Fragen gestellt werden. „Wurden Sie als Kind auch in den dunklen Keller gesperrt?“  löst ein anderes Gefühl aus als „Erzählen Sie mir von Ihrem Lieblingsspiel!“

Es ist deshalb nicht so, dass ich eine eher trübe Geschichte in eine positive Erzählung umschreibe. Vielmehr führe ich den Erzähler immer wieder mit gezielten Fragen auch zu positiven Erinnerungen und Erzählungen. Zudem frage ich nach Bewältigungsstrategien, die in schwierigen Zeiten weitergeholfen haben. Es gibt in jedem Leben Ungereimtheiten und Fehlentscheide. Wichtig ist doch nur, wie es nach einem Tiefschlag gelang, wieder aufzustehen und weiter zu machen.

Welches sind aus Ihrer Sicht eindrückliche Geschichten?

Ich finde vor allem den Prozess des Erinnerns eindrücklich, weil durch gezielte Fragen plötzlich sehr wertvolle Erinnerungen hochkommen, die längst hinter dem Vorhang des Vergessens lagen.

Sie bieten ein unverbindliches Informationsgespräch an. Wie läuft das ab?

Beim unverbindlichen Informationsgespräch erfahre ich, was der Erzähler mit seiner Biografie erreichen möchte. Geht es um ein Buch für seine Enkel oder Freunde?

Oder eher um einen intimen Rückblick, bei dem das Erinnern an eine stärkende Lebensgeschichte im Zentrum steht?

Prof. Dr. Maercker schlägt sogar einen zielorientierten Lebensrückblick vor, wo es um die Frage geht, welche Fähigkeiten, Kenntnisse und erworbenen Bewältigungsstrategien aus der Vergangenheit heute genutzt und auf welche Ressourcen zurückgegriffen werden können.

Es geht natürlich auch um organisatorische Fragen. Hat der Erzähler schon Texte   oder möchte er anhand von Fotografien und meinen Fragen erzählen? Wo möchte er dies tun?  Gibt es einen Termindruck wegen eines Geburtstages oder wegen einer schweren Krankheit? Wie viele Exemplare sind vorgesehen?

Auch reden wir über Finanzen und über mein schriftliches Verschwiegenheitsversprechen. Nicht zuletzt geht es natürlich auch um das gegenseitige Vertrauen für dieses gemeinsame Vorhaben.

Oder lernen Interessierte bei Ihnen Techniken kennen, wie sie selber eine Biografie und vielleicht ein Buch schreiben können?

Nein, ich schreibe keine Romane und auch keine Biografien für den Buchhandel. Es geht nicht um Tipps, sondern um die Begleitung beim Schreiben. Ich sorge lediglich dafür, dass respektvoll und freundlich auf das eigene Leben zurück geblickt wird und mache auf die versteckten Schätze aufmerksam.

Eine Biografie zu schreiben, braucht viel Aufbauarbeit und ein grosses Vertrauen. Wer sind Ihre „Kunden“?

In der Regel sind meine Kunden ältere Menschen, die ihren Enkelkindern von ihrem Leben erzählen möchten. Im Moment schreibe ich eine Biografie mit einem Legastheniker, der sein ganzen Leben unter seiner Schreibschwäche gelitten hat und sehr stolz ist, sein eigenes Buch zu besitzen. Ich freue mich mit ihm!

Warum sollte man eine Biografie schreiben? Ist das ein Mehrwert, den sich alle älteren Menschen gönnen sollten, um zum Beispiel Enkelkindern oder der Nachwelt Geschichten zu vererben?

Ja!  Besonders Prof. Dr. Verena Kast rät zu einem freundlichen, begleiteten Lebensrückblick und erklärt in ihrem Buch “Die Kraft des Lebensrückblicks“, weshalb eine Biografie so hilfreich ist.

Persönlich stelle ich fest, dass ein freundlicher Lebensrückblick nicht nur den Erzähler stärkt, sondern auch sein Umfeld. Für die Enkelkinder ist die Beschreibung ihrer Wurzeln sehr wertvoll.

Haben Sie Ihre eigene Biografie auch geschrieben? Welche Wünsche haben Sie an das Leben selbst?

Ja, ich habe meine eigene Biografie auch geschrieben. Zusätzlich habe ich mich auch mit dem damaligen gesellschaftlichen Zeitgeist befasst. Unsere Biografien sind wohl individuelle Geschichten, aber auch eingebettet im jeweiligen Zeitgeist, der den Rahmen für das Geschehen bildet.

Ich bin sehr dankbar, in der heutigen Zeit leben zu dürfen. Vor allem für ältere Menschen ist das Leben heute viel einfacher als früher.  Weil ich mich für das Alter im Allgemeinen interessiere, bilde ich mich auf diesem Gebiet ständig weiter.

Mein Wunsch an das Leben: Dass älteren Menschen auch in der Schweiz wieder mehr Würde und Respekt  entgegen gebracht wird.

@Manuela Olgiati, 30. September 2019

Interview Blandine Raey-Zbinden

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Blandine-Josephine Raemy-Zbinden
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