Im Freilichtmuseum von Sanok wollen wir die Behausungen der 5 verschiedenen ethnischen Volksgruppen Galiziens ansehen. Tatsächlich finden wir im „Muzeum Budownictwa Ludowego w Sanoku“ 5 verschiedene Zonen mit den jeweiligen Baustilen vor. Das 38 ha grosse Museum ist sehr gut organisiert, die Prospekte auch in Englisch erhältlich. Mit über 100 Holzbauten aus dem 17. – 20. Jahrhundert (ganze Gehöfte, Russisch-Orthodoxe Kirchen, Wasser- und Windmühlen) gehört das Freilichtmuseum in Sanok zu den schönsten in Europa.
Hier sehen wir anhand der Wohnhäuser und deren Einrichtungen, dass es für die einfachen Menschen im „österreichischen Galizien“ zwischen 1780 und 1880 keine Entwicklung gab. Obwohl immer wieder betont wurde, dass Österreich in Galizien den Fortschritt wollte, schien die Entwicklung während der österreichischen Zeit stehen zu bleiben.
Im Gegensatz zu den sehr einfachen Holzhäusern der „gewöhnlichen“ Menschen, sind die übergrossen Kirchen überwältigend durch die Pracht der reichen Ausstattung. Der Orthodoxe Dom der Heiligen Dreifaltigkeit von Sanok ist gleichzeitig der Sitz des Erzbischofs der Diozöse von Przemysl. Sie wurde 1784 fertig gestellt, hat auch heute noch eine extrem gute Energie im Innern.
Niemals würden wir es wagen, Fotos dieses Juwels zu machen. Vielmehr tun wir es den Betenden gleich, setzen uns hin und geniessen die friedliche Ruhe dieses wunderbaren Raumes, der mit Gold, Schmuck und edlen Hölzern dekoriert ist, trotzdem nicht kitschig wirkt, sondern kostbar und edel.
Auf dem Grund der ehemals ruthenischen Burg wurde in den Jahren 1523 – 48 das gotische Kasimir-Schloss im Renaissancestil umgebaut. Seine Säle beherbergen heute nicht nur eine Gemäldesammlung, sondern auch die grösste Ikonensammlung in Polen. Nicht nur die sehr eindrucksvollen Ikonen bleiben uns in Erinnerung, sondern auch die schon fast peinliche Unbeholfenheit des Personals. Es ist sehr freundlich, sehr hilfsbereit, noch mehr erstaunt, dass wir uns als Nicht-Polen hierher „verirrt“ haben. Wir werden verstohlen beobachtet, Türen werden aufgesperrt, Lichter angezündet, es wird um uns herumgetänzelt, Lichter werden wieder gelöscht, Türen wieder verschlossen.
Das Personal weiss nicht wirklich, was es mit uns anfangen soll, erstarrt, wenn wir vor einer Ikone länger stehen bleiben, lächelt, wenn wir weiter laufen. Noch spricht hier niemand Englisch, wir sprechen wiederum nicht genügend Polnisch. So hätten wir viele Fragen über diese Ikonen, welche die Geschichte eines ganzen Volkes beinhalten. Vor allem interessieren uns die RussischOrthodoxen Segenskreuze, welche drei Querbalken haben, die uns daran erinnern sollen, dass wir das Weltliche mit dem Seelischen verbinden sollten.

Im Jahre 2009 erleben wir einige uns bleibende Begebenheiten im Süden von Polen, weil es noch kaum ausländische Touristen gibt. Oft gibt es Zeitsprünge in das letzte Jahrhundert oder in den Kommunismus. Noch ist hier der Kunde nicht König, er kann froh sein, wenn es Waren gibt. In diesem Sinne werden wir im Dom Turysty in Sanok empfangen. Die etwas griesgrämige Dame an der Rezeption spricht nur polnisch und russisch, weist uns deshalb mit Handzeichen zum Warten an, obwohl sie keine andere Kunden zu bedienen hat. Später will sie sofort die Pässe sehen, auch das Geld für das Doppelzimmer inkl. Frühstück (Fr. 30.-) sofort haben. Danach füllt sie ein Formular aus, presst mit nun froher Miene einen Stempel darauf. Erst danach können wir das sehr einfache, jedoch blitzsaubere Zimmer anschauen und beziehen.
Nördlich von Sanok könnten wir nochmals einer Ikonenroute folgen, wir fahren nun jedoch die Karpatenhügel rauf und runter, der ukrainischen Grenze entlang, bis nach Przemysl. Welche beeindruckende Stadt!
Lange vor anderen Ländern im Westen entstand im Jahre 1573 die Glaubenstoleranzakte für Polen-Litauen, der dem Adel und den Freien die Glaubensfreiheit ermöglichte. Dadurch erfolgte eine starke Zuwanderung verschiedener Gläubigen, welche entweder eine neue Existenz suchten oder im eigenen Land wegen des Glaubens vertrieben wurden. In Galizien entstand damals ein regelrechtes multikonfessionelles Gebiet. Dies bedeutete verschiedene Rechtsformen, denn immer noch wurden die Menschen ihrem Glauben gemäss gerichtet. Das Magdeburger Recht galt für die Römisch Katholischen, welche meist der Oberschicht angehörten.
Sehr viele Juden siedelten sich in Galizien an, weil sie aus Westeuropa vertrieben wurden. Man lastete ihnen die Pest an, welche im 14. Jahrhundert wütete. In Galizien jedoch wurden sie gerne empfangen. Wie andere Gläubige hatten auch die Juden in Galizien eine eigene parlamentarische Organisation, sogar einen jüdischen Reichstag, jüdische Gerichte, eigene Verwaltungen.
Galizien wurde multikulturell, multikonfessionell. Weil es jedoch noch kein nationales Recht und auch kein nationales Denken gab, entstand hier ein Ort, wo viele verschiedene Rechtsformen im Land regierten. Die verschiedensten Gemeindeverwaltungen lebten auf kleinstem Raum nebeneinander.
Eines ist klar: Für Przemyl rechneten wir zu wenig Zeit ein, weil wir uns nicht vorstellen konnten, hier ein solches Juwel zu finden, das die Geschichte des Vielvölkerfürstentums Galizien so nachhaltig veranschaulicht.
Auf einem Rundgang sehen wir uns das Schloss aus dem Jahre 1340 an, das im 16. Jahrhundert im Renaissancestil umgebaut wurde. Die Römisch-Katholische Kathedrale aus dem 15. und 16. Jahrhundert wurde im 18. Jahrhundert im Barockstil umgebaut. Obwohl sie wunderschön ist, steht ihr die danebenliegende Griechisch-Katholische Kathedrale nicht nach, die ursprünglich im 17. Jahrhundert im barocken Stil für die Jesuiten gebaut wurde. Erst 1991 übergab Papst Paul II die Kathedrale an die GriechischKatholiken, welche sie für die östlichen Messen umfunktionierten.
Vorher hatten die Griechisch Katholiken von den Österreichern das Karmelitenkloster aus dem 17. Jahrhundert erhalten. Die barocke Kirche umgestaltet sowie ihrem Glauben angepasst. Heute haben die Karmeliter die Kirche wieder originalgetreu renovieren lassen. Die Griechisch Katholiken wollten ursprünglich selbst eine Kathedrale bauen, kamen jedoch nur bis zum Glockenturm im spätbarocken Stil, von dessen Höhe wir die wunderbare Aussicht über die Stadt geniessen.
Im 18. Jahrhundert bauten auch die Franziskaner eine Kirche, mischten gekonnt Spätbarock mit Klassizismus. Im Innern imponiert ein ausdrucksvoller Rokokostil. Das Dominikanerkloster aus dem 16. / 17. Jahrhundert wurde von den Österreichern aufgelöst und für Verwaltungszwecke genutzt. Das Dominikaner Frauenkloster aus der gleichen Zeit wurde von den Österreichern zu einem Spital umfunktioniert.
Jede Glaubensrichtung, jeder Orden wollte hier eine Residenz haben. Deshalb finden wir auch das Kloster des Ordens “ St. John of God“, aus dem 17. Jahrhundert, das heute eine Schule ist. Das Karmelitinnenkloster, die Franziskanerkirche Hl. Antonius von Padua sowie das Benediktinerinnenkloster sind noch heute in Betrieb. Dies gilt auch für das Römisch Katholische Seminar, die Schule der Kathedrale, die Orthodoxe Kirche, die St. Joseph’s Kirche, die Hl. Theresia Kirche. An der frontalen Seite der GriechischKatholischen Kirche wurde 1979-1982 eine neue Kirche für die Byzantinisch-Ukrainische Glaubensbekennung gebaut. Die jüdische Synagoge aus dem Jahre 1918 dient heute als Bibliothek.
Erstaunlich sind diese vielen Kathedralen, Klöster und Kirchen vor allem, wenn man bedenkt, dass hier in Przemysl lediglich 65’000 Menschen wohnen!
Nicht zu vergessen die kleine Ausgabe des Wiener Bahnhofs, den die Österreicher 1860 bauen liessen. Przemysl lag an einer extrem günstigen Lage zwischen Krakau und Lemberg-Kiew, deshalb bauten die Österreicher auch einen Festungskomplex von 45 km Länge mit 42 Forts, die alle miteinander verbunden sind. Diese Festung ist nach Antwerpen und Verdun die drittgrösste in Europa und eine Glanzleistung der Fortifikationskunst aus der Wende des 19. Jh. zum 20. Jh.
Im Ersten Weltkrieg kämpften an und um diese Festung, die das „Verdun der östlichen Front“ benannt wurde, die Österreicher, die Ungarn, die Russen, Deutschen, die Tschechen, die Polen und die Italiener. Legendär sind die Kämpfe gegen die angreifenden Russen, die lange Zeit in Schach gehalten werden konnten.
Obwohl die Österreicher im Jahre 1812 das alte Rathaus niederrissen, flaniert es sich immer noch schön am „Market Square“, wo auch das Historische Museum aus dem 16. Jahrhundert zum Staunen und Entdecken einlädt. Gut erholen wir uns auch im Schlosspark.
In Przemysl gibt es ausgezeichnete Hotels, die jedoch im Moment noch eher auf russische oder ukrainische Touristen eingestellt sind. Auch in der Umgebung gibt es diverse Schlosshotels, wo man in gediegener Atmosphäre ausgezeichnet essen kann.
Das Schloss-Garten-Ensemble in Krasiczyn gehört zu den schönsten Spätrenaissance-Residenzen in Polen. Der 20 a grosse Landschaftspark beherbergt einige seltene Baum- und Straucharten.
Blandine, im Herbst 2009
Quellen:
Kurs über Galizien an der Volkshochschule in Zürich
Unterlagen der besuchten Städte
Eigenes Erleben sowie eigene Beobachtungen
Weitere Informationen über Galizien findest Du im Archiv unter Polen – Geschichtlicher Hintergrund.